Samuel Koch. Oder: Haben wir Menschen einen freien Willen? Nachdem ich von Samuel Kochs Unfall erfuhr, gehörte ich - zugegeben - ein paar Wimpernschläge lang zu denen, die innerlich eine wenig freundliche Meinung vertreten haben: Selber Schuld. Warum tut er sich so etwas auch an? Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Höher, größer, schöner, weiter. Der Reiz muss ja immer noch steigerungsfähig sein, damit er den Namen Nervenkitzel verdient. Das Fernsehen braucht Show-Geiseln und beutet diese aus bis zum Anschlag. Hauptsache, die Promis auf der Couch haben ihren Spaß und mehr noch ihre PR. Panem et circenses, Brot und Zirkusspiele. Unmissverständliche Zeichen einer dekadenten, in Selbstauflösung befindlichen Gesellschaft. Das Fernsehen findet auch immer wieder Show-Geiseln, denn es gibt genügend Leute, die geil darauf sind, sich der gaffenden Öffentlichkeit zu präsentieren, notfalls um jeden Preis. Höher, größer, weiter, schöner. Der Pappa fährt das Auto, die Mamma winkt nach amerikanischer Cheerleader-Manier mit schwarzen Puscheln an den Händen. Ja, ein bißchen Angst hat sie offenbar auch, aber das ist halt die pikante Würze in der schön sämigen Fernseh-Soße. Ach, was sind wir doch alle so stolz auf den wohlgeratenen Filius und was sind wir so froh, dass wir im Fernsehen sind. Schaut, da sitzt die ganze Fan-Gemeinde auf der eigens eingerichteten Samuel-Koch-Tribüne in der Südkurve, von der Promi-Couch aus gesehen. Etliche der Südkurven-Insassen haben an den Händen ebenfalls diese ätzenden schwarzen Cheerleader-Puschel. Oder Schilder mit Buchstaben, die zusammengesetzt den Namen Samuel Koch ergeben. Liebe Freunde, schaut doch hin, wir sind alle im Fernsehn drin... Und heute sind manche von ihnen berühmt, aber leider ganz und gar nicht so, wie man sich das vorgestellt hatte. Wären das meine Söhne gewesen, ich hätte ihnen einen Vogel gezeigt, statt sie noch zu unterstützen mit ihrer Furz-Idee. Über fahrende Autos springen, verrückt. Und wenn es schief geht? Nein, an so etwas würde ich - als Elternteil - wirklich keine Schuld haben wollen. Der nächste Gedanke: Gott sei Dank haben meine Söhne niemals meinen Albtraum wahr gemacht, indem sie ein Motorrad haben wollten. Oder Schlimmeres. Heute sind diese Söhne an die vierzig, haben die Sturm- und Drangzeiten ohne größere Blessuren hinter sich gebracht und leben ihr eigenes, selbstverantwortliches Leben. Ich sagte übrigens ganz bewusst "Gott sei Dank". Was im Gegensatz zu meiner oben dargestellten drastisch-einseitigen Meinung zu stehen scheint. Denn entweder achte ich Gott als eine Instanz, die mir gegenüber unmissverständlich weisungsbefugt ist, dann sollten mir solche harten Urteile nicht durch die Hirnwindungen und über die Lippen gehen. Oder ich bin eine Atheistin, dann kann ich verbal nach Herzenslust rumsauen, nach Schuldigen suchen und diese aburteilen. Und zwar so lange, bis mich selber ein merkwürdiges "Schicksal" trifft und mich zwingt, meine Meinung anzupassen. Samuel Kochs Unfall hat mich bis heute nicht losgelassen. Nachts träume ich von ihm und auch von anderen Rollstuhlfahrern und Schwerbehinderten. Wobei die anderen Behinderten im Traum stets hilfsbedürftiger sind als Samuel selbst. Was alleine grotesk ist, denn objektiv sind die meisten Rolli-Fahrer wesentlich beweglicher und gesünder als Samuel, der seinerseits praktisch nur noch über seinen eingeschränkt beweglichen Kopf und etwas Kraft in der rechten Schulter verfügt. Bevor ich Samuel Kochs Buch gelesen hatte, hatte ich keine Ahnung, welche Schmerzen und Qualen ein Querschnittsgelähmter auszuhalten hat, insbesondere in den ersten Wochen und Monaten nach dem Unfall. Ich habe sein Buch mehrmals gelesen. Habe außerdem sämtliche mir zugänglichen Informationen verinnerlicht, wieder und wieder. Samuel Koch hat übrigens schon viel gefährlichere Sachen gemacht als die Auto-Wette bei Wetten dass: Samuel war und ist in einem Studiengang für angehende Schauspieler immatrikuliert. Was ein gewisses Selbstdarstellungsbedürfnis voraussetzt und was alle guten Schauspieler auszeichnet. Dies bitte ich nicht als negativ zu werten, sondern ganz neutral als Teil seiner Persönlichkeitsstruktur. Samuel Koch war körperlich voll durchtrainiert und hatte den Stunt, mit dem er bei "Wetten Dass" angetreten war, absolut sicher beherrscht. Blind und im Schlaf sozusagen. Dies wurde ihm von professioneller Seite bestätigt, wie auch Kleidung, Helm und Protektoren völlig ausreichend gewesen seien. Diese Beurteilung kam von niemand Geringerem als vom Verband der Stuntleute. In dessen Ausführungen war auch die Rede von einem unglücklichen Bewegungsablauf beim Unfallsprung. Samuel Koch selbst sagt in seinem Buch, dass er keine Erklärung dafür hat, weshalb er sich zum Salto bereits eingerollt hat, bevor er die Höhe des Sprunges erreicht hatte. In einem Interview bei Markus Lanz sagt er: "Gott hatte wohl andere Prioritäten." Vor vielen Jahren schon stellte sich mir in vergleichbaren Zusammenhängen die Frage: Haben wir Menschen eigentlich einen freien Willen? Oft habe ich diese Frage im Kollegenkreis diskutiert. Mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen: Ja, nein, ein bißchen, und alles dazwischen. Meine Erkenntnis: Wir Menschen haben keinen freien Willen, nicht im Geringsten. Nicht für zwei Pfennig. Die Logik: Es kann doch nicht sein, dass wir im Falle des Erfolges den freien Willen und unsere ach so tolle Leistung heranziehen, und im Misserfolgsfall das böse Schicksal bemühen müssen. Entweder haben wir einen freien Willen und den dann im Guten wie im Schlechten. Oder wir haben keinen freien Willen und hängen an den Silberfäden einer höheren Instanz. Es ist wie mit der Schwangerschaft: Entweder sind wir schwanger oder nicht. Ein bißchen schwanger geht nicht. Ein bisschen freier Willen geht auch nicht. Samuel Koch dazu: "Dass Gott dem Menschen den freien Willen geschenkt hat, habe eben auch zur Konsequenz, dass es dann auch manchmal zum Chaos und zu Katastrophen kommen kann." Widerspruch: Wir haben von Gott allenfalls die Illusion eines freien Willens geschenkt bekommen, nicht den freien Willen selber. Das, was wir als "unseren freien Willen" bezeichnen, sind in Wirklichkeit nichts anderes als Taten in Konsequenz von Vereinbarungen, die wir in der Zeit zwischen zwei Leben im Jenseits getroffen haben. Stets mit dem Ziel, als Seele einen höheren Reifegrad zu erlangen. Seelenverwandtschaften mögen für viele konventionelle Christen vielleicht kein besonders populäres Thema sein. Auch für diejenigen, die Gott losgelöst von Konfessionen begreifen, mögen vorgeburtliche Verabredungen oft abstrakt sein. Für mich nicht. Ich bin vielmehr fest davon überzeugt, dass wir unsere Seelenpartner im Diesseits sehr wohl zu erkennen in der Lage sind. Mal ist es das Aufblitzen eines Goldzahnes, mal eine Deformation des kleinen Fingers, mal die Art, wie der Telefonpartner das r rollt oder über einen Scherz lacht. Es sind meistens Kleinigkeiten, die das Aha-Erlebnis, das "Déja-vu" bringen. Ein anderes Mal verpassen wir eben auch den einen oder den anderen. Wie im richtigen Leben. Hilfreich für Gottgläubige und Bibelorientierte dürfte in diesem Zusammenhang die Information sein, dass die Lehre der Reinkarnation (Wiedergeburt) durch das 5. Konzil von 553 in Konstantinopel aus dem christlichen Glauben verbannt wurde wurde und daher in der Folge auch keinen Eingang mehr in die Bibel fand. "Vom Tisch" ist das Thema deshalb aber noch lange nicht. Für mich war Samuel Kochs "missglückter" Sprung ganz eindeutig Teil einer Vereinbarung, die vor seinen Lebzeiten und vor den Lebzeiten der übrigen Beteiligten getroffen wurde. Dieser Vereinbarung wurde er sich unbewusst bewusst in dem Moment, in dem er seinem Vater in die Augen schaute, als der ihm vor 10 Millionen Zuschauern im Auto mit (erstmals!) geöffnetem, Schiebedach entgegen fuhr. In diesem winzigen Bruchteil der Sekunde erkannte Samuel seinen Seelenpartner und erinnerte sich an die im Jenseits getroffene Vereinbarung. Samuel rollte sich instinktiv sofort zusammen, um sich gegen das, was da kommen würde, zu schützen. Genau damit führte er aber den folgenreichen Aufprall am Wagendach und somit die Situation herbei, die vorgeburtlich im Jenseits vereinbart wurde. Wer sind die Beteiligten der Vereinbarung? Die Familie, natürlich. Eine intakte und vorbildliche Familie, die miteinander durch dick und dünn geht. Eine Familie, von denen es nur noch wenige gibt. Deren Kinder allesamt Wunschkinder sind. Eltern, die ihre Kinder achten und sie in ihrem So-Sein bedingungslos akzeptieren und unterstützen. Keines der Mitglieder dieser Familie würde je ein anderes im Stich lassen. Alle glauben an Gott und sind aktive Christen. Wer sind die anderen Beteiligten? Die Sport- und Studienkollegen? Klar, sonst hätten die sich kaum auf die weite Reise an sein Krankenbett in der Schweiz begeben. Die Therapeuten, die Helfer? Ein Teil von ihnen ganz bestimmt. Die Düsseldorfer Mediziner? Oh ja. Thomas Gottschalk? Aber sicher. Samuels Auftritt hat auch ihm sinbildlich das Genick als Showmaster gebrochen. Hinter den Kulissen beginnt für ihn eine neue Lebensphase. Eine Phase größerer Reife. Michelle Hunzicker? Ja, vielleicht, aber möglicherweise als junge Seele, die noch einen langen Entwicklungsweg vor sich hat. Nicht umsonst hat sie ein halbes Jahr gebraucht, bis sie Samuel besucht hat. In Samuel Kochs Körper lebt eine uralte Seele, ohne Zweifel. Alte Seelen erkennt man u.a. daran, dass sie im Diesseits freundlich, verständnisvoll und einfühlsam sind. Sie haben stets ein besonderes Gespür für die Nöte und Bedürfnisse ihrer Mitmenschen. Wie Samuel. Oft suchen sich diese alten Seelen Körper mit Behinderungen. Oft stellen diese alten Seelen für ihre Mitmenschen Herausforderungen dar, die deren Seelen ihrerseits reifen lassen. Samuel Koch, Video: Das Leben danach Samuel Koch ist heute ein gefragter Interview- und Talkpartner. Er gilt als Mutmacher, als Motivator, als Tröster und als Vorbild für andere Behinderte, für inkarnierte Seelen mit schwierigen Aufgaben. Der Unfall hat ihm für diese Rolle das gelassen, was er dafür benötigt: Ein Talent zum Sprechen und zum Darstellen, eine stabile Stimme (das ist alles andere als selbstverständlich nach einem Genickbruch dieser Schwere), ein sympathisches Wesen und den unbedingten Willen, die selbst oder von Gott gestellten Aufgaben irgendwie zu meistern. Zu Gott zu vermitteln wird sicher seine Aufgabe in diesem Leben sein. Das dürfte auch der vorgeburtlichen Verabredung entsprechen. Ohne Behinderung könnte er eine solche Aufgabe sicher weniger authentisch ausfüllen. Auch Jesus musste vieles erleiden, bevor er für uns alle zum großen Vorbild werden konnte. PS: "Rührendster Moment: Joachim Gauck diskutierte mit Samuel Koch über Gott und den Glauben". Soweit ein Satz aus der Bildzeitung vom 2.5.13 zum evangelischen Kirchentag. Das Foto dazu spricht Bände. Wenn ich Samuel Kochs Blick nämlich richtig interpretiere, denkt er über die Politiker ähnlich wie ich. zurück . zum Tintling . |