Die Arbeit läuft Dir nicht davon, wenn Du Deinem Kind den Regenbogen zeigen willst –
aber der Regenbogen wartet nicht, bis Du mit der Arbeit fertig bist!

Chinesisches Sprichwort

My home is my castle. Oder: Mein Karree ist mein Refugium

Es war gestern, am 3. März 2011 gegen 15 Uhr, als N. F. aus V. anrief. Herr F. ist ein Abonnent des Tintling und ein netter, sympathischer Mensch dazu. Wir kennen uns von einigen erquicklichen Telefonschwätzchen.

Ich war gerade mit meinem Enkel Tom im Garten, um Löwenzahn für einen leckeren Salat zu stechen und um Tom die ersten sprießenden Wildkräuter und deren Genießbarkeit zu erklären. Bärlauch, wie er gerade die waffeltütchenförmig gerollten Spitzen aus der Erde treibt und dass sich im Mai die giftigen Maiglöckchen hinzugesellen werden, die ganz ähnlich aussehen.
Es war herrlichstes Wetter, wolkenloser Himmel. Zwar recht frisch und nordostwindig, aber es gibt ja Wollpullover und Jacken. Wie gesagt genoss ich den beginnenden Nachmittag und Tom´s aufmerksame Wissbegier.
Den Genuss hatte ich mir auch verdient, so finde ich, denn ich war - wie immer - um zweidrei Uhr in der Frühe auf und wenn andere zum ersten Mal den Wecker abstellen, habe ich schon ein paar Stunden richtig ordentlich gearbeitet. Übrigens an sieben Tagen in der Woche. Morgens zwischen drei und acht geht mir die Arbeit am allerbesten von der Hand. Nicht nur, weil ich dann frisch und ausgeschlafen bin, sondern auch deshalb, weil da das Telefon nicht oder nur in Ausnahmefällen klingelt. (Wussten Sie eigentlich, dass ich den Tintling ganz alleine mache, inclusive Versand, Buchhaltung und Steuerklärung?)
Ist auch egal, wo war ich stehengeblieben? Ach ja, das Telefon. Warum nur hatte ich es mit in den Garten genommen, denke ich nun im Nachhinein. Am anderen Ende der Leitung war N. F. Er sei gerade in der Nähe (er wohnt ansonsten 400 km vom meinem Wohnort entfernt), ob er denn kurz vorbeikommen könne, um einen Kalender zu kaufen und man könne ja das Porto sparen und überhaupt wolle er mich mal sehen...
Na gut, komm rasch her, bin hinterm Haus. Ich brachte es in Anbetracht der aktuellen räumlichen Nähe nicht fertig, einfach NEIN zu sagen und dass mir Tom und Löwenzahn und Bärlauch im Moment wichtiger sind. Dass es schlicht und ergreifend schon zeitlich nicht möglich ist, mit 2350 Abonnenten auch noch häusliche Kontakte zu pflegen.  Aber wie gesagt, habe ich in diesem Fall nicht Nein gesagt. Eben weil N.F. ja ein wirklich Lieber ist.
Außerdem: Andere rufen erst gar nicht vorher an, sondern stehen unangemeldet im Garten oder auf der Matte vor der Haustür. Sind dann u.U. stinksauer, weil man  ebtunell nicht freundlich genug zu ihnen war.
„Bin in fünf Minuten da und werde dich auch nicht aufhalten“ sagte N.F. noch und legte auf.
Ein paar Minuten später stand er im Garten. Wir gingen in die Wohnung, um einen Kalender  zu holen.
Ja, er hätte da ein Bild von einem Pilz, das er mir gern mal zeigen würde, ob er dürfte.
„Na zeig schon.“
„Habs im Auto, warte, ich hole es.“
Er kam zurück mit einem Aktenkoffer und einer Reisetasche. Zeigte mir das Foto, das zusammen mit hundert weiteren in einem Album klebte. Zeigte mir alle Bilder. Holte ein weiteres Album mit UMOs raus, in der Erwartung, dass die Pilze danach einen Namen haben würden.
Zweieinhalb Stunden später kannte ich seine Familie, seine Prostataoperation, seinen mutmaßlich insolventen Chef und das Innenleben seiner Kamera.
Als er ging, war die Sonne untergegangen, meine Schwiegertochter kam Tom abholen (der sich während der drei Stunden mit Computerspielen beschäftigt hatte), die halbe Portion  Löwenzahn war in der Schüssel verwelkt und ich selbst habe während des Gläserspülens und für den Rest des Abends augengewässerreich "mit meinem Schicksal gehadert".

Heute morgen habe ich eine Entscheidung getroffen:
„My home is my castle“ gilt ab sofort.
Für jeden.
Grundsätzlich.
Ohne Ausnahme.

Gerne kann man mit mir auf mannigfache Weise kommunizieren: Via Tintling, via Homepage, via E-Mail, via Gästebuch, via Facebook & co. Diese Art der Kommunikation hat den Vorteil, dass ich mich ihr widmen kann, wenn es zeitlich in meinen Tagesablauf integrierbar ist und nachdem die wichtige Arbeit geschafft ist.
Auch das Telefon ist - wenn gerade Zeit und Muße angesagt ist - ein wunderbares Kommunikationsinstrument. Darüber hinaus kann ich - schon seit geraumer Zeit - überhaupt keinen Grund mehr erkennen, dass man in Zeiten der elektronischen Verständigung Autos und Körper zueinanderwälzen muss, um zu kommunizieren. (Welchen triftigen Grund sollte es auch geben, einen von sieben Milliarden Menschenkörpern zu besichtigen?)
Ich möchte außerdem zugeben, dass mir neben dem Tintling auch meine Familie wichtig ist.
Mit ihr - bzw. mit meinen Enkelkindern (acht und neun Jahre) - teile ich meine knappe Freizeit am gernsten.
Können Sie das verstehen?

Heute mittag werde ich wieder in den Garten gehen. Leider ohne Tom, denn der kommt erst nächste Woche wieder. Bis dann wird dafür gesorgt sein, dass unsere traute Kräuterkunde nicht erneut vereitelt wird.
Und ab sofort wird es mir ganz leicht fallen NEIN zu sagen, denn es gilt grundsätzlich und für jeden,
dass mein Refugium an der Grenze meines Karrees beginnt.
Bitte nicht traurig sein, dass ich mir diesen Freiraum bewahren möchte..

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